Globale Krise – Regionale Nachhaltigkeit

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»Globale Krise – Regionale Nachhaltigkeit« (Buchcover)

Immer mehr Autorlnnen sehen in einer Regionalisierung des Wirtschaftens einen Zukunftsweg. In dem Band »Globale Krise – Regionale Nachhaltigkeit« skizziert der Politikwissenschaftler Ulrich Brand einmal mehr den Zusammenhang sich überlagernder Krisenphänomene – er spricht von »multipler Krise« – und stellt der »dominanten Krisendeutung« von der Konjunkturkrise eine alternative Deutung entgegen, der gemäß die gegenwärtige Konfliktlage »Ausdruck der offenbar mit den bestehenden Instrumenten nicht mehr bearbeitbaren Widersprüche des neoliberal-imperialen und globalisierten Kapitalismus« darstellt (S. 13). Es gehe um »tief in den Gesellschaften verankerte Produktions- und Lebensweisen, die sozial spaltend und Natur zerstörend sind« (ebd). Brand fordert eine »neue, progressive Transformation quer durch die Gesellschaft« (S. 24), die insbesondere auch dem »Staatspersonal selbst plausibel sein« müsse (S. 24). Die entscheidende Frage für progressive Politik sei die Herausbildung einer neuen Produktions- und Lebensweise, »die nachhaltig, solidarisch und demokratisch ist« (ebd.).

Der Autor spricht von einem »neuen Protektionismus«, der »zentrale gesellschaftliche Bereiche wie Ernährung, soziale Sicherheit und öffentliche Güter vor den Finanzmärkten und den damit verbundenen Interessen schützt« (ebd.).

Die Frage »Systemfehler oder Akteursversagen?« beantwortet Damel Deimling in der Folge dahingehend, dass das System den Akteuren falsche Anreize setze. Die Aufblähung des Finanzmarkts führe zur Kluft zwischen »realem und illusorischem Vermögen« (S. 47), die darauf folgenden Krisen seien nichts anderes als »Wertberichtigung«, jedoch mit dramatischen Folgen für die Gesellschaften. »Mit der Gier ist also das Streben der Banken nach absurd hohen Renditen gemeint, die sich folgerichtig im Vergütungssystem der Banker widerspiegeln.« (S. 47)

Stellvertretend für die weiteren Beiträge sei hier noch auf die Ausführungen des Herausgebers Ulf Hahne eingegangen, der ein Positivszenario einer regionalisierten Ökonomie entwickelt. Regionen sind für ihn »Laboratorien für Zukunftslösungen« im Sinne von nachhaltigem Wirtschaften und Leben (S. 71). Mobile Standortfaktoren wie Arbeitskosten oder Kreativpotenzial würden die gegenwärtig übliche Standorthierarchie bestimmen (»World-City-Hypothese« von Sassia Sassen und Paul Friedman; Konzept der »kreativen Klasse« von Paul Florida). Der Erfolg der Regionen außerhalb der Agglomerationszentren beruht nach Hahne hingegen auf »der Ausprägung immobiler Standortfaktoren«. Dazu zählt er nicht nur das lokale Sachkapital und die »Sesshaftigkeit von Arbeitskräften wie familiengeführten Unternehmen, sondern auch die natürlichen Voraussetzungen, die institutionellen Regeln, die ethischen und kulturellen Gepflogenheiten der Region« (S. 70). Als Zukunftsfelder für Regionalisierung beschreibt Hahne »regionale Energieeffizienz« in der postfossilen Ära (einschließlich der »Rekommunalisierung der Energieversorgung«), »regionale Wertschöpfungsketten« (z. B. Produktionsnetzwerke)sowie schließlich regionale Wohlstandskonzepte«, die neben regionaler Kaufkraftbindung auch »regionale Atmosphäre« (Erscheinungsbild von Städten und Regionen), »Kontaktspielräume und Subsistenz« sowie »regionale Selbststeuerung« enthalten. Im Sinne von »Governance« als »Koordination kollektiven Handelns zwischen Politik und Bürgern, Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft« seien auf regionaler Ebene Partizipationsprozesse möglich, die Akteure zusammenführen – Vorgänge, die freilich der Moderation bedürfen.

Hahne ist überzeugt, dass von Regionen »Systeminnovationen« ausgehen können, »welche die Dimensionen des materiellen (…), die Dimensionen der Kontakt- und Kooperationsspielräume sowie die Dimension von Entscheidungsspielräumen und Governance umfassen« (S. 87).

Weitere Beiträge des Bandes thematisieren »Siedlungsstrukturen und regionale Energieversorgung«, die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf lokale Nachhaltigkeitsstrukturen, die Möglichkeiten »sozialer Stadtentwicklung« sowie »problematische Territorialisierungen« anhand ethnischkultureller Grenzen. Noch sind die Konturen der sich abzeichnenden Regionalökonomien unklar, doch liegt in ihnen, so auch die Überzeugung des Rezensenten, ein Steuerungspotenzial für ein neues Verständnis von Wohlstand.

Hans Holzinger – Aus: pro Zukunft 4.2010 und CONTRASTE Nr. 319 (April 2011, Seite 14)

Ulf Hahne (Hg): Globale Krise – Regionale Nachhaltigkeit –
Handlungsoptionen zukunftsorientierter Stadt- und Regionalentwicklung.
Detmold: Rohn, 2010. 220 S., 29 EUR