Interview

Mehr Kooperation in Mittelhessen anstreben und fördern

Zur Kooperation braucht man keine wehrhaften Burgen (Foto: wjk)

Zur Kooperation braucht man keine wehrhaften Burgen (Foto: wjk)

Wenn es gilt ein, für eine Region relevantes wirtschaftliches Ziel zu erreichen, dass nur über die Zusammenarbeit möglichst vieler erreicht werden kann. Dies ist in keinem anderen Handlungsrahmen leichter möglich als in dem der Genossenschaft.

Diese Wahrheit ist seit über 150 Jahren, weltweit viele tausend Mal bestätigt worden, sie wurde in Deutschland erfunden. In Hessen besitzt das Genossenschaftswesen bis heute Verfassungsrang (§44).

30 Mrd € Investition durch Energie-Genossenschaften möglich

Die neuen regenerativen Energien müssen finanziert werden. Dabei sind sich alle Experten einig, dass diese Investitionen zu Produktionsstätten in der Fläche — auf dem Lande — führen werden. Wer anderes als die dort lebenden Menschen sollten die Investoren sein?

windraeder

Wilfried J. Klein: Können Sie uns die notwendigen Investitionen ein wenig erläutern?

Wolfgang George: Bei den Anlagen handelt es sich um Produktivgüter, die auf diese Weise in die Hände von Vielen gelangen könnten. Wenn die regionalen Banken gemeinsam mit den Bürgern und der regionalen Wirtschaft handeln, können leicht bei nur 5.000 neuen Produktionsstätten 30 Milliarden € regionales Kapital aufgebracht werden. Dies ist kein unrealistisches Szenario.

Wilfried J. Klein: Wie wollen Sie das regional notwendige Kapital aufbringen und wie hoch ist die Investitionssumme für einen einzelnen Anleger?

Wolfgang George: Als Grundlage für die Rechnung kommt ein genossenschaftliches Kapitalisierungs-Modell in Frage, welches es leicht ermöglicht, diese Investitionssumme zu mobilisieren. Als Grundlage für die Planrechnung reicht eine Einlage von nur 1000 €.

Was gegenwärtig fehlt ist eine geeignete Kampagne etwa durch die Genossenschaften bzw. die regionalen Banken, Wirtschaftsverbände bzw. Parteien und Bürgervertreter vorgetragen.

Wilfried J. Klein: Vielen Dank für das Interview.

Welche Bedeutung hat die kooperative Ökonomie?

kooperative Ökonomie

Welche Bedeutung hat die kooperative Ökonomie? – Dr. Jürgen Dieter, geschäftführender Direktor Hessischer Städtetag

Auch auf den großen hessischen Städten lastet ein erheblicher Kostendruck. Eine Antwort der Länder lautet Gemeinde- und Gebietsreform. Wie schätzen Sie die Situation in Hessen ein. Stehen wir vor einer neuen Gebietsreform die auch das Verhältnis der Städte zu ihrem Umland betrifft?

In Einzelfällen erscheint es sinnvoll, zwei Städte zu fusionieren. Angesichts einer Zahl von 60 Mitgliedern des Hessischen Städtetages mit einer Zahl von unter 50.000 Einwohnern sind solche Lösungen auch innerhalb unseres Verbandes denkbar.

Der „große Wurf“ einer Gebietsreform könnte aber nur erfolgen, indem man stärker regionalisiert. So könnte eine große Gebietsreform im Rhein-Main-Gebiet durch eine völlig neue Organisationsstruktur mit starken Städten als Regionalverband ohne Landkreise entstehen. Für ein solches Ziel sehe ich aber auf absehbare Zeit keinen hierfür notwendigen breiten politischen Konsens.

In welchen Bereichen der Aufgabenteilung zwischen Land, Kreis und Gemeinden sehen Sie die größten zu bergenden Ressourcen?

Grundsätzlich gibt es keine Aufgabe, die nicht in den Kommunen bürgernäher, effektiver und kostengünstiger zu erbringen wäre. Die „große Politik“ weiß dies auch, sonst würde sie uns nicht bei Bildung und Erziehung, bei Pflege, bei Grundsicherung für Arbeitssuchende, Sozialhilfe, Infrastruktur und Energiepolitik immer mehr Aufgaben überantworten. Unser Problem: Auch wenn die Kommunen kostengünstig arbeiten: In der Regel überlässt man uns viel zu wenige Finanzmittel, um die Aufwendungen für neue oder veränderte Aufgabe zu finanzieren.

Für einzelnen Städte wird es trotz bester Bemühungen der Konsolidierung eng werden. Was wurde in diesen Städten versäumt?

Ihre Ausgangsthese ist zutreffend. Daraus lassen sich aber nicht zwingend Versäumnisse ableiten. Die „von oben“, also von Bund und Land vorgegebenen Aufgaben sind mittlerweile in einer Weise gewachsen, dass man in vielen Städten „von einem nicht kommunal verursachten strukturellen Defizit“ sprechen muss. Was nicht hausgemacht ist, ist regelmäßig kein Versäumnis.

Nicht auszuschließen sind Versäumnisse im Einzelfall, also finanzielle Engpässe, welche eine Gemeinde hätte vermeiden können. Diese Ursachen müssen individuell ermittelt und geklärt werden. Wir haben nicht den Eindruck, dass solche individuellen Fehlsteuerungen in unseren Städten signifikant und häufig vorkommen.

Was können die Städte unternehmen um zukunftsfähige Abstimmungen zu den Umlandgemeinden aufzubauen? An welche Projekte denken Sie?

Multilaterale Beziehungen zwischen zentralen Orten und ihren Umlandkommunen lassen sich am besten mit eindeutigen Zielvereinbarungen für eine arbeitsteilige Organisation darstellen. Idealer Weise münden sie in eine auf die speziellen Bedürfnisse der jeweiligen Region zugeschnittene Verbandstruktur, die gleichzeitig Doppelstrukturen meidet. Es ist prinzipiell schädlich, neue politische Ebenen zu schaffen, ohne mindestens dieselbe Zahl an bestehenden Ebenen abzuschaffen.

Bisher gibt es dafür noch keine ganz ausgereiften Beispiele. Man sehe nur auf die mühsame und durchaus nicht ohne Erfolg geleistete Arbeit für einen Regionalverband in Kassel.

Betrachtet man Hessens größte und am meisten verdichtete Region Rhein-Main, so sind dort besondere Beziehungen zu beachten. Trotz der an die 700.000 wachsenden Zahl ihrer Einwohner liegt Frankfurt als Mainmetropole in einer polyzentrischen Region, in der sie eine Vielzahl von „Umlandgemeinden“ mit eigener oberzentraler Funktion um sich weiß. Hierfür hilft nur ein spezielles Konzept, dass die Region nach vorne bringt und gleichzeitig die unterschiedlichen Interessen der vielen starken Städte in der Region auf möglichst gleicher Augenhöhe ausgleicht.

Worin unterscheiden sich die zukunftsfähigen von zu problematisierenden Städten?

Keine Stadt ist ohne Zukunft und keine Stadt ist ohne Probleme. Besonders zu achten hat die Politik auf die Städte, deren Bewohner im Mittel stärker auf die Unterstützung der Gemeinschaft angewiesen sind als in anderen Kommunen. Sie erbringen einen Beitrag auch für andere Städte, denn eine Stadt, die viele Menschen in sozial schwierigen Verhältnissen beherbergt, nimmt anderen Kommunen diese Aufgabe ja zu großen Teilen ab. Für diese Leistung verdient die betreffende Stadt einen angmessenen Ausgleich.

Nicht allen Kommunen, die von massivem Bevölkerungsverlust durch Abwanderung und/oder demografischen Wandel betroffen sind, wird die Gemeinschaft zu alter Stärke zurück verhelfen können. In solchen Regionen gilt es gerade die zentralen Orte zu stärken. Dort kann man mit schwindenden finanziellen Ressourcen noch Lebensumstände (öffentliche Infrastruktur / private Einrichtungen von ärztlicher Versorgung bis zum täglichen Einkauf) organisieren, welche die Region dann immer noch für eine größere Zahl von Menschen attraktiv belassen.

Die Rolle des Bürgers und bürgerschaftlichen Engagements soll zukünftig bis hin zur Ermöglichung der Daseinsvorsorge eine größere Rolle einnehmen. Wie schätzen Sie diese ein?

Bürgerschaftliches Engagement ist eine wichtige Basis, um das nähere Lebensumfeld mit Leben zu erfüllen, insbesondere andere Menschen und Einrichtungen solidarisch zu unterstützen und Erfolge auch ohne großen staatlichen Mitteleinsatz vor allem in sozialen, kulturellen, sportlichen und ökologischen Feldern zu erzielen.

Man muss aber die Möglichkeiten ehrenamtlichen Engagements nicht überschätzen. Die Herausforderung an die bundesdeutsche Gesellschaft, mit immer geringeren Alterskohorten in den heranwachsenden Jahrgängen im weltweiten Wettbewerb zu bestehen, die Erwartung gerade an die jüngere und mittlere Generation, Beruf, Kindererziehung und häufig auch Pflege der vorgängigen Generation zu leisten und zu organisieren, setzt Grenzen.Die Gesellschaft darf mit Engagement rechnen, sich darauf aber nicht abstützen. Als Beispiel diene die häusliche Pflege, ohne die wir in Deutschland längst ein Chaos im Pflegebereich hätten, die aber auf Grund der vorbeschriebenen Rahmenbedingungen nicht mehr alleine die Aufgaben der kommenden Jahrzehnte wird lösen können.

Natürlich wissen Sie, dass dieses Interview mit einem Journal des Genossenschaftswesens geführt wird. Es interessiert uns einen erfahrenen Kommunalgestalter wie Sie nach seinen Erfahrungen mit Genossenschaften zu fragen?

Die Bezeichnung „Kommunalgestalter“ ehrt. Dennoch sind meine persönlichen Erfahrungen mit Genossenschaften nicht sehr zahlreich. Ich habe erfahren, dass Genossenschaften gerade im Wohnungsbau mittlerer Städte und in der Seniorenbetreuung beträchtliche Erfolge verzeichnen dürfen.

Glauben Sie – wie wir es natürlich tun – dass der kooperativen Ökonomie wieder eine stärker Bedeutung zukommen wird und wenn ja, in welchen Bereichen der Städte sehen Sie dies?

Angesichts der drängenden Probleme unserer Zeit ist es klug, die Erfolgsmöglichkeiten des auf Gegenseitigkeit beruhenden Miteinanders auch auf seinen ökonomischen Erfolg hin einzusetzen. Das spricht für die von Ihnen so bezeichnete „Kooperative Ökonomie“. Je mehr Beispiele praktischer Wirkung und nachgiewesenen Erfolges Genossenschaften aufweisen können, desto mehr werden sie ihren Platz als Problemlöser finden. Ihren Schwerpunkt sehe ich auf den „klassischen Feldern“ von Wohnungsbau, sozialen Einrichtungen, vielleicht auch auf dem Gebiet von Sport und Kultur.

Ob sie darüber hinaus geeignet sind, kommunale Aufgaben zu übernehmen, zum Beispiel interkommunale Zusammenarbeit, muss der Praxistest zeigen.

Das nächste Jahr 2012 ist das Jahr der Genossenschaften. Was würden Sie uns für dieses Jahr wünschen?

Werben Sie weiter für Ihre Idee. Sie hatten ja keinen schlechten Start.

Vita Dr. Jürgen Dieter

Dr. Jürgen Dieter ist seit dem 1. September 1997 Direktor des Hessischen Städtetages, seit 1.12008 Geschäftsführender Direktor.

Jürgen Dieter ist am 8. März 1955 in Hessens südwestlichster Stadt Lampertheim geboren. Er ist Vater zweier erwachsener Kinder. Der promovierte Jurist war seit 1981 fünf Jahre Richter, acht Jahre Abgeordneter des Hessischen Landtags und für gut drei Jahre Bürgermeister seiner Heimatstadt. Rund 25 Jahre war er auf unterschiedlichen Ebenen ehrenamtlicher Kommunalpolitiker.